Neubau eines Freistehenden Fassadensystems
Form
Mosel-Region ist Deutschlands älteste Weinregion und heute wesentlich durch den Tourismus geprägt. Daher wird auf das Erscheinungsbild der Ortschaften ein besonderer Wert gelegt. Im Zuge von Baumaßnahmen (Neubau-, Restaurations- und Sanierungsarbeiten) sind die regionalen Bauschaffenden immer wieder mit der Aufgabenstellung konfrontiert, dass sich die Architektur, am besten auch schon während der Bauphase, in die ortstypische Bebauung und landschaftliche Umgebung einfügen soll. Gerade bei Gewerbe- und Industrieobjekten verursacht dies oft Diskussionen, weil wirtschaftlichere Lösungen architektonisch gefällig anmutenden Varianten gegenüber stehen.
Diese wiederkehrende Anforderung veranlasste die Geschäftsführung der Firma „Oster Dach + Holzbau GmbH“ im Rahmen eines ersten Modellprojektes nach einer optisch ansprechenden und in die Region passenden Lösung für freistehende Fassadensysteme zu suchen. Die im Zuge einer Betriebsübergabe anstehende Baumaßnahmen am eigenen Büro- und Produktionsgebäude boten ideale Voraussetzung zur Anwendung einer derartig raumkreierenden Außenhaut, mit der beispielhaft ein bis dahin weitgehend funktionales Bauwerk im Gewerbegebiet möglichst substanzschonend und zugleich optisch ansprechender umgestaltet werden sollte.
Zonierung
Die architektonische Aufgabenstellung bestand darin, einen ansprechenden Eingangsbereich zu planen und den vorhandenen Büroraum an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen. Ein wichtiges Kriterium war der gestalterische Anspruch, dass die optische Struktur sich stimmig in die Landschaft des Moseltales eingliedert und nebenbei eine handwerkliche Visitenkarte des Unternehmens entsteht, welche seine Kernkompetenz im Holzbau repräsentiert.
Gemeinsam mit dem Architekten Sven Propfen wurde ein Entwurf entwickelt, der den in der Firmenphilosophie der Zimmerei und Dachdeckerei Oster tief verwurzelten Grundgedanken „Alte Werte und Leitideen zu bewahren und mit neuen modernen Ansätzen zu kombinieren“ aufnimmt. Die vorliegende gute Bausubstanz wurde gewahrt bzw. erweitert und in ein neues Gewand gefasst. Diese Anforderungen bildeten ideale Voraussetzungen für die Entwicklung eines freistehenden Fassadesystems – der Rebenwand.
Konstruktion / Gebäudehülle
Durch die Einhüllung des alten funktionstüchtigen Gebäudes in die neue Fassadenstruktur gelang es, mehrere Aspekte ganzheitlich zu berücksichtigen. Zunächst wird die substanzschonende und somit ressourceneffiziente Aufwertung des Erscheinungsbildes erzielt. Zudem wird durch die Betonung der Vertikalen die geordnete Gestaltung der regional typischen Weinbau-Reben-Hänge wiedergespiegelt. Der Entwurf berücksichtigt soziale und ökonomische Aspekte und entwickelt einen neuen außenwirksamen Unternehmensauftritt. Durch den Einsatz von Holz in der Außenhülle wird das Firmenkonzept der behaglichen Wohnraumschaffung bzw. der Oster-Nest-Wärme auch in der Gebäudearchitektur des Produktionsstandortes abgebildet.
Die architektonische Grundidee der Betonung der Vertikalen sollte im Zuge der konstruktiven Ausführung durch auf Lücke angeordnete Kantholzquerschnitte aus Eichenholz realisiert werden.
Weiterhin ist durch die Realisation des Prototyps erkennbar, wie einfach und optisch anspruchsvoll verschiedene Nutzungsbereiche voneinander getrennt und Blickbezüge verändert werden können. Durch die richtungsabhängig bis zu semitransparente Fassadenstruktur wird eine Kubatur mit weitreichendem Raumgefühl geschaffen, sowie eine Teilverschattung realisiert, die auch den sommerlichen Wärmeschutz verbessert. Gleichzeitig werden die Windbeanspruchungen in der entstandenen Innenhofsituation reduziert. Dass die Rebenwand im Laufe Ihrer Lebensdauer durchaus ein lebendiges und veränderliches Erscheinungsbild mit sich bringt, ist einkalkuliert und sogar gewünscht. Insbesondere aus dem Vergleich der Abwitterung der zum Teil gehobelten und zum Teil sägerauhen Bereiche dürfen im Zuge nachgelagerter Beurteilungen wissenschaftlich relevante und neue Erkenntnisse für Laubholz erwartet werden.
Dem zentralen Thema des Holzschutzes konnte, neben dem Einsatz von der geeigneten Holzart Eiche, durch die Vermeidung direkten Erdkontaktes, eine dauerhafte Luftumspülung der Holzbauteile und durch die Wahl verzinkter und zum Teil beschichteter, stählender Grundkonstruktionsteile Rechnung getragen werden. Bis zur Wahl des ausgeführten Korrosionsschutzes für den Stahl wurden auch Alternativen wie beispielsweise Edelstahl in Betracht gezogen. Die Entscheidung fiel in Absprache mit dem Metallfachbetrieb auf verzinkte und zusätzlich beschichtete Stahlteile. Eine einheitliche Materialwahl mit ausreichender Beschichtungsdicke wurde wegen möglicher Probleme der Kontaktkorrosion bei unterschiedlichen Stahlsorten vorgezogen.
Insbesondere der erfahrungsgemäß im Holzbau kritische Spritzwasserbereich am Übergang vom Fundament zur Holzkonstruktion erforderte die Verwendung geeigneter Materialien. Da diese Stellen auch statisch hoch beansprucht sind, wurden in Stahlbetonfundamente eingespannte Stützen aus verzinktem Stahl mit handelsüblichem Doppel-T-Querschnitt gewählt. An deren Flasche konnten Knaggen mit halbrunden Aufnahmen angeschweißt werden, an denen die Holzkonstruktion befestigt werden konnte. Dadurch gelang es, die Holzbauteile mit ausreichendem Abstand gegenüber der Geländeoberkante zu platzieren.
Die Lasten der vertikalen Hauptstruktur möglichst dezent in Richtung lastabtragender Stützen abzuleiten und dabei die Montierbarkeit nicht unnötig kompliziert zu machen war der initiierende Gedanke für die Evolution des „Prinzip Kleiderstange“ genannten Systems. Die Eichenbohlen auf ein rundes Stahlrohr aufgefädelt und fixiert konnten so als einzelne Elemente schnell an die Stützen angehangen und befestigt werden. Diese „Kleiderstangen“ wurden farblich anthrazit abgesetzten und treten hierdurch gegenüber den Eichenkanthölzern optisch in den Hintergrund.
Die Spannweiten der Elemente waren durch die Außenabmessungen der Rundrohre im Verhältnis zu den Kantholzabmessungen und den statisch und optisch notwendigen Holzabmessungen neben den Bohrungen für das Stahlrohr reglementiert. Die statische Planung durch das Büro Volkmann berücksichtigte zur Aufrechterhaltung eines einheitlichen Erscheinungsbildes auch variierende Rohrwandstärken.
Es ging im Rahmen der Entwicklung auch darum die mögliche Dauerhaftigkeit von Holz bei direkter Bewitterung zu maximieren und zu zeigen, dass mittels durchdachter Ansätze bzgl. des konstruktiven Holzschutzes und die Wahl einer geeigneten Holzart auch unter diesen klimatischen Bedingungen langlebige Konstruktionen realisiert werden können. Hierfür mussten Wasseransammlungen an allen Kontaktstellen bestmöglich reduziert werden, um somit potentielle Stellen beschleunigten biologischen Abbaus auszuschließen. Neben der Abdeckung sämtlicher von oben frei bewitterten Hirnhölzer mit Aluminiumblech- Mauerabdeckungen und den hinterschnittenden Längsstößen ist ein besonderes Augenmerk auf die Kontaktstellen zwischen den gebohrten Eichenbohlen und den „Kleiderstangen“ gelegt worden.
Konische Bohrungen mit Hochpunkt in der Mitte sorgen für einen Wasserablauf und die Reduktion der Kontaktfläche auf ein statisch erforderliches Minimum bei gleichzeitiger Ausbildung von Tropfkanten in ausreichendem Abstand zu den Holz-Stahl-Kontaktflächen. Für die maschinelle Herstellung dieser derart konstruierten Bohrungen ist eigens ein Kombi-Element mit Unterstützung des Abbundprogramm-Herstellers Dietrich’s entwickelt worden. Auch wenn diese Spezialdetails die Abbundzeit verlängern, lässt sich festhalten, dass die gewählte Lösung für das gesamte Fassadensystem unter maximalem Maschineneinsatz eine Zeitoptimierung der lohnintensiven Herstellung und Montage ermöglicht und eine hervorragende Dauerhaftigkeit verspricht.
Besonderheiten
Fassadensystem soll insbesondere dazu beitragen, bei den Kunden Bewusstsein für das Holz und vor Allem mehr Mut zum Holzbau zu erwecken und die üblichen Ressentiments gegenüber dem natürlichen Baustoff abzubauen.
Optische Auflockerungen durch variierende Querschnittsabmessungen und Abstände ermöglichen das Fassadensystem nicht nur zur direkten Bekleidung von Wandelementen zu nutzen sondern diese fort zu führen, um in unbebauten freien Flächen Räume zu schaffen, die variabel lichtdurchflutet und gleichzeitig mehr oder weniger optisch abgetrennt sind und somit Gelände und Räume neu gestalten. Zum Beispiel zur Schaffung von gemütlichen Innenhofsituationen für Winzerbetriebe. Auch der schnelle Austausch einzelner Elemente und ggf. das Anbringen von alternativen Elementen wie Werbeflächen o.ä. sind problemlos möglich.
Am Ende temporärer Nutzungen können die Elemente im Rahmen einer Kaskadennutzung weiteren Anwendungen zugeführt werden, wie z.B. der Neuelementierung für eine neue Fassade, der Nutzung als Bauzaun, Pergola oder Ähnliches. Auch die sortenreine Trennung ist unproblematisch, so dass die Hölzer anschließend einem anderen Verwendungszweck zugeführt werden, bis letzten Endes zur thermischen Verwertung. Der Verwendungszweck der Elemente ist vielfältig und soll Vorzeigeprojekt für weitere Fassadengestaltungen in der Weinbauregion Mosel sein. Durch den schnellen Vorfertigungsprozess lassen sich so die vielfältigsten Fassaden im Bestand verschönern und regional anpassen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es im Zuge dieses Projektes durch die Förderung des Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz gelungen ist, ein preiswertes, ökologisch nachhaltiges und optisch anspruchsvolles Fassaden-System zur ganzheitlichen Aufbesserung von Industrie- und anderen Bestandsfassaden zu entwickeln. Weiter Anwendungsgebiete dieses montagefreundlichen Systems sind z.B. selbststehende Schließungen von Baulücken, Bauzäune, die Substitution üblicher Abtrennungsbauwerke wie kostenaufwendige Bruchsteinwände oder die Kreation neuer Räume mit variabler Teiltransparenz. Eine breite Anwendung dieser Rebenwände bzw. dieser Rebenoptik im Moseltal wird den ersten Eindruck eines Touristen positiv beeinflussen.
Projekt-Steckbrief
Adresse
Moselbahnstraße 16
54470 Bernkastel-Kues
Projektart
Freistehendes Fassadensystem
Bauzeit / Fertigstellung
Februar 2018 – August 2019
Bauart
Massivholzkonstruktion
Projekt-Beteiligte
Bauherren
Oster Dach+ Holzbau GmbH
Architekt
Sven Propfen – KONKON Büro für Architekturlösungen und nachhaltiges Bauen, Trier
Fachingenieurin
Günter Freis – Prüfingenieur für Baustatik, Bernkastel- Kues
Tragwerksplanung
Jens Volkmann – Volkmann Planung, Kassel
Holzbau
Oster Dach+ Holzbau GmbH
Moselbahnstraße 16
54470 Bernkastel-Kues
www.osterdach.de/
Sonstige Beteiligte
Adam Stahl- und Anlagenbau GmbH, Gödenroth
Tombers Hartholz GmbH & Co. KG, Mehren
Fotografien
Andreas Scholer – Tonimedia, Bernkastel- Kues
54470 Bernkastel-Kues Deutschland